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Erste Gedenkstele für Verschickungskinder enthüllt: Eine Mahnung zum Erinnern und zur Aufarbeitung

Am Bad Salzdetfurther Kurpark steht deutschlandweit die erste Gedenkstele, die an das besondere Leid vieler Verschickungskinder erinnert. Besonders gedacht wird dabei den Schicksalen von Stefan, Kirsten und André, die 1969 im Waldhaus Bad Salzdetfurth zu Tode kamen. Aber auch andere Kinder haben während ihres Aufenthaltes in diakonischen Einrichtungen Leid und Gewalt erfahren. Seit 2019 setzt sich die Diakonie in Niedersachsen zusammen mit Vertretern der Betroffenen für eine bundesweite Aufarbeitung zu der Thematik ein.

„Gemeinsam blicken wir heute auf Jahrzehnte der Kinderkuren im Waldhaus in Bad Salzdetfurth. In vielen Gesprächen haben wir von den Betroffenen erfahren, wie es ihnen ergangen ist. Viele berichteten von rigiden Erziehungsmethoden, einer hartherzigen Lustlosigkeit, überforderten Personal und einem krassen Missverhältnis der Kinder in den Einrichtungen zum Personal“, erklärte der Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen, Hans-Joachim Lenke, bei der Einweihungsfeier. Von dem im Waldhaus erlittenen Leid ließe sich nichts mehr ungeschehen machen. Lenke versicherte aber, dass durch die geschilderten Erlebnisse die Schutzkonzepte entsprechend geschärft wurden. Außerdem führte Lenke an, dass für die Betroffenen sehr bedrückend gewesen ist, nicht über das Erlebte reden zu können.

„Weil ihnen nicht geglaubt wurde, weil sie den Eindruck hatten, zu Recht bestraft worden zu sein. Am Ende haben sie geschwiegen“, sagte der Vorstandssprecher. Die Stele würde die Stummheit der Kinder thematisieren, die in Bad Salzdetfurth zur Kur waren. „Sie soll ein öffentlicher Ort des Erinnerns sein. Hier soll gezeigt werden, dass Geschichte nicht vergessen wird und wir als Diakonie zu unserer historischen Verantwortung stehen“, so Hans-Joachim Lenke. Unter den rund 50 Gästen waren auch eine Reihe Männer und Frauen, die im Kindesalter an Kuraufenthalten teilgenommen haben und die bis heute mit großem Schrecken an das Erlebte in den Wochen zurückblicken.

Die Landeskoordinatorin Niedersachsen der Initiative Verschickungskinder, Sabine Schwemm, verbrachte im November 1968 als Vierjährige mehrere Wochen im Kinderkurheim Waldhaus. Schwemm berichtete auch von dem schlimmsten Tag während ihrer Kur: „Nachdem ich auf der Personaltoilette im Keller war, folgte eine harte Bestrafung. In einem dunklen Raum bekam ich heftige Schläge. Ich habe bitterlich geweint, aber niemand hat geholfen. Als mir eine ´Tante´ sagte, dass ich Weihnachten nicht nach Hause komme, hatte ich Todesangst.“ Sie habe sich während der Kur sehr allein und verlassen gefühlt. „Das Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit, den ‚Tanten‘ ausgeliefert zu sein, werde ich nicht vergessen. Jeder ist aufgefordert, genau hinzuschauen, damit sich unsere leidvollen Erfahrungen nicht mehr wiederholen. Für mich ist die Stele ein Mahnmal, genau daran zu erinnern.“ Bad Salzdetfurths Bürgermeister Björn Gryschka machte deutlich, dass die Einweihung der Gedenkstele eine hohe Bedeutung für die Stadt hat.

„Es ist gut, dass dieses traurige und tragische Stück unserer Stadtgeschichte aufgearbeitet wurde und nun auch öffentlich sichtbar wird“, meinte der Bürgermeister. Generationen hätten in der Kurstadt Bad Salzdetfurth auf die heilende Wirkung der Sole gesetzt. „Eine große Zahl Eltern haben ihre Kinder wie der damaligen Inneren Mission anvertraut. Sie wollten das Beste für ihre Kinder. Doch es gab die eklatanten Missstände in den Kurheimen Waldhaus und Sonnenblick, über die wir Jahrzehnte wenig erfahren haben“, berichtete Gryschka. Der Aufstellungsort sei sorgsam ausgewählt worden. Er stellt die Verbindung zwischen dem damaligen Haus Sonnenblick und dem Kurpark her. „Die Stele wird gemeinsam mit der Dauerausstellung im benachbarten Bergbau- und Salzmuseum für die Bürger und Gäste der Stadt ein Ort des Erinnerns und zugleich der Mahnung sein“, so Gryschka.

Bei der anschließenden Einweihung der 1,30 Meter hohen und 30 Zentimeter breiten Stele, die der Steinmetzbetrieb Czaikowski aus Holle aus grauem Sandstein hergestellt hat, verlas die Superintendentin des Kirchenkreises Hildesheimer Land-Alfeld im Amtsbezirk Alfeld, Katharina Henking, den Text der Stele.

Bad Salzdetfurths Pastor Stephan Wallis stand ihr mit Segen und Vaterunser zur Seite. Einige Gäste legten in Gedenken an die drei zu Tode gekommenen Kinder Blumen an der Stele nieder. Der Posaunenchor der Bad Salzdetfurther Kirchengemeinde umrahmte den offiziellen Teil musikalisch.

Michael Vollmer
Fotos: Michael Vollmer

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