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Bischof Dr. Heiner Wilmer: Ostern lässt Klang der Hoffnung entstehen

Liebe Schwestern und Brüder!

„In der Welt von heute ist alles Göttliche und Festliche abhanden gekommen. Sie ist ein einziges Warenhaus geworden“ – so der koreanisch-deutsche Philosoph Byung-Chul Han . Sollte diese Beschreibung unserer Gesellschaft berechtigt sein: „In der Welt von heute ist alles Göttliche und Festliche abhanden gekommen. Sie ist ein einziges Warenhaus geworden“ – wir setzen heute dagegen:

Wir feiern ein göttliches Fest: Ostern!

Der Dom strahlt in seiner bescheidenen Schönheit – in österlichem Schmuck! Die Musik beschwingt uns! Das Singen der Lieder verbindet uns zu einer frohen Gemeinschaft!

Irgendwie scheinen wir Christinnen und Christen, die wir weltweit das Fest der Auferstehung Jesu feiern, aus der Zeit gefallen zu sein, einer Zeit, der doch „alles Göttliche und Festliche abhanden gekommen“ ist, wie Byung-Chul Han meint.

Wie kommt er zu einer solchen Einschätzung?

Wir seien „Arbeits- und Leistungsknechte“. Wir verabsolutieren Arbeit, Leistung und Produktion. Wir optimieren uns zu Tode, um besser funktionieren zu können. Diese Selbstoptimierung reicht bis in den Freizeitbereich: Immer höher, immer weiter, immer mehr…Die heutigen Feste heißen Events. Gleichzeitig verliert das Leben immer mehr an Intensität. Man stürzt sich euphorisch in Arbeit und Freizeit – und bricht am Ende zusammen. „Der Exzess der Leistungssteigerung“, so Byung-Chul Han „führt zum Infarkt der Seele.“

Wer von uns kennt nicht Menschen, die sich überfordert fühlen, müde werden, die meinen, „ausgebrannt“ zu sein und es wirklich sind! Und vielleicht entdecken wir auch in uns selbst solche Gefühle!

Byung-Chul Han schreibt weiter: „Wir haben scheinbar alles. Uns fehlt aber das Wesentliche, nämlich die Welt. Die Welt ist stimm- und sprachlos geworden, ja klanglos.“

Doch die Welt schreit! So viel Brutalität in so vielen Regionen unserer Erde! Einerseits macht es uns wütend, dass unsere Welt so ist: den Kriegstreibern und Machtgierigen ausgeliefert! Andererseits erfahren wir unsere Hilflosigkeit und Ohnmacht! Wir können nur wenig bewirken! Das macht uns traurig, kann uns niederdrücken, depressiv machen, lähmen. Angesichts von Millionen Leidender sind wir sprachlos. Es fehlt der Klang der Hoffnung!
Blicken wir fast 2000 Jahre zurück.

Für die Jüngerinnen und Jünger Jesu war der Kreuzestod ihres Herrn eine Katastrophe. Es hatte doch alles so gut angefangen! Sie hatten einst erlebt, „wie Gott Jesus von Nazaret gesalbt hat mit dem Heiligen Geist und mit Kraft, wie dieser umherzog, Gutes tat und alle heilte, die in der Gewalt des Teufels waren; denn Gott war mit ihm.“ (Apg 10,38).

Gott war mit ihm. Doch jetzt? „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,46) – Jesu Schrei am Kreuz! -„Warum hast du ihn und uns verlassen?“ Das war die Stimmungslage derjenigen, die mit Jesus durchs Land gezogen waren!

Und dann? Maria von Magdala ging am ersten Tag der Woche zum Grab und kam mit einer erschreckenden Nachricht zu den Jüngern: „Sie haben den Herrn aus dem Grab weggenommen und wir wissen nicht, wohin sie ihn gelegt haben.“ (Joh 20,2).

Nun wurden zwei der Jünger aktiv: Petrus und der Jünger, „den Jesus liebte“. Die Nachricht riss sie aus ihrer Passivität und Lethargie heraus. Schnell bewegten sie sich zum Grab. Sie gingen in das leere Grab hinein. Vom „anderen Jünger“ heißt es: „Er sah und glaubte.“ (Joh 20,8). Und dann die merkwürdige Aussage: „Denn sie hatten noch nicht die Schrift verstanden, dass er von den Toten auferstehen müsse.“ (Joh 20,9).

Das leere Grab war für die beiden eine Tatsache, – die sie aber nicht mit der Auferstehung in Verbindung brachten. Es blieb vielmehr bei der Feststellung: „Sie haben den Herrn aus dem Grab weggenommen.“

Erst in der persönlichen Begegnung mit dem Auferstandenen geschah das Unglaubliche, das bisher nie im Blick war. Als der vermeintliche Gärtner Maria von Magdala mit ihrem Namen ansprach, erkannte sie in ihm den auferstandenen Herrn. (Joh 20,16). Dieser zeigte sich auch auf geheimnisvolle Weise dem Petrus und danach den Zwölfen (vgl. 1 Kor 15,5) und vielen anderen, die mit ihm verbunden gewesen waren. Die Jüngerinnen und Jünger wurden herausgerissen aus ihrer tiefen Niedergeschlagenheit. Sie spürten in sich eine ungeahnte, nie für möglich gehaltene Aufbruchsstimmung. Das Königreich Gottes, von dem Jesus sprach, war nicht verloren! Der Gruß des Auferstandenen „Schalom“ – „Friede“ wird zur Vision und Motivation! So wurde für die Jüngerinnen und Jünger das Leben wieder zum Fest! Sie wurden aufgeschreckt und aufgeweckt, ja mit Jesus auferweckt.

Deshalb brauchen wir Feste wie Ostern, die uns aus dem Alltag herausreißen, die uns aufwecken, die unsere Blickrichtung verändern!

Im Kolosserbrief wird uns zugerufen: „Seid ihr nun mit Christus auferweckt, so strebt nach dem, was oben ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt. Richtet euren Sinn auf das, was oben ist, nicht auf das Irdische!“ (3,1f.)

Wir brauchen eine neue Blickrichtung, um unsere irdische Gegenwart zu gestalten, ein Ziel, das uns aus der Niedergeschlagenheit herausreißt, unsere Sicht weitet und uns neu nach vorne, nach oben schauen lässt.

Wenn Menschen ins Weltall schauen, ihren `Sinn richten auf das, was oben ist´, dann erkennen sie – ob religiös oder nicht – das, was im Gebet der Vereinten Nationen so ausdrückt wird: „Unsere Erde ist nur ein kleines Gestirn im großen Weltall.“ Und sie, ja wir spüren die Verpflichtung, die dieses Gebet dann so beschreibt:

„An uns liegt es, daraus einen Planeten zu machen, dessen Geschöpfe nicht von Kriegen gepeinigt werden, nicht von Hunger und Furcht gequält, nicht zerrissen in sinnlose Trennung nach Rasse, Hautfarbe oder Weltanschauung.“

Wenn wir aufschauen, weiten wir unseren Horizont, erkennen wir, was wesentlich ist.

Wir versinken nicht in Selbstmitleid und im Gefühl der Ohnmacht, das uns handlungsunfähig macht.

Entdecken wir, was wesentlich ist und letztlich dem Wesen des Menschen entspricht.

In den großen deutschlandweiten Demonstrationen für unsere Demokratie sehe ich einen solchen Impuls. Für eine gewisse Zeit ruht die Leistungsgesellschaft, weil man sich auf das Wesentliche besinnt, das man nicht verlieren darf, nämlich: Wir alle gehören zusammen; niemand darf ausgegrenzt sein!

Es ist die Botschaft, die sich in vielen Religionen wiederfindet und die für Jesus so bedeutsam war: Menschliche Solidarität! Und das Besondere der Botschaft Jesu ist, dass dieses Miteinander sogar den Feind miteinschließt.

Alle Menschen sind von Gott geliebt. Gott liebt diese Welt, seine Schöpfung. Wir dürfen uns als Erlöste fühlen. Wenn wir unseren Sinn auf das Himmlische richten, dann nehmen wir das himmlische Königreich Gottes als Geschenk in unsere irdische Welt hinein. Dann versuchen wir in Gelassenheit „Himmel auf Erden“ entstehen zu lassen. Wir entdecken, was wesentlich ist! Dazu braucht es Zeiten der Ruhe, des Nachdenkens, des Innehaltens – und des Feierns göttlicher Feste. So entsteht in unserer Welt trotz allem wieder ein neuer Klang, der Klang der Hoffnung.

Das Göttliche und Festliche kommt uns nicht abhanden!

Frohe Ostern!

Amen

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