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Begründung des Urteils in dem Staatsschutzverfahren gegen Abu Walaa

  • Celle

CELLE. In dem Staatschutzverfahren gegen Ahmad A. u.a. (4 StE 1/17) hat der Senat am Mittwoch sein Urteil verkündet. Den Angeklagten wird u.a. vorgeworfen, den sog. „Islamischen Staat“ (IS) – teilweise als Mitglied – in einem überregionalen salafistisch-jihadistischen Netzwerk unterstützt zu haben. Sie sollen insbesondere junge Männer im Sinne der IS-Ideologie radikalisiert, zur Ausreise nach Syrien und in den Irak bewegt und bei der Ausreise u.a. finanziell unterstützt sowie mit notwendigen Kontakten für den teilweise erfolgten Anschluss an den IS versorgt haben. Wegen dieser Vorwürfe wurden sie am 8. November 2016 festgenommen und befinden sich seither mit Ausnahme des Angeklagten Mahmoud O. in Untersuchungshaft. Den gegen den letztgenannten Angeklagten erlassenen Haftbefehl hatte der Senat durch Beschluss vom 16. Dezember 2020 aufgehoben, weil der weitere Vollzug der Untersuchungshaft außer Verhältnis zu der für diesen Angeklagten zu erwartenden Strafe gestanden hätte.

Der Vorsitzende Richter hat der Urteilsverkündung den Wunsch vorangestellt, dass dieses Verfahren und dieses Urteil dazu dienen mögen, das friedliche Zusammenleben von Menschen aller Religionen und Weltanschauungen zu sichern.

Er hat sodann den bereits in der vorangegangenen Pressemitteilung wiedergegebenen Urteilstenor mündlich wie folgt näher begründet:

Der Senat ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Angeklagte Ahmad A. (genannt „Abu Walaa“) im Tatzeitraum von Frühjahr 2014 bis September 2016 als Imam und Prediger in der Moschee des „Deutschsprachigen Islamkreis Hildesheim e.V.“ in Hildesheim tätig war, einem Zentrum der überwiegend aus jungen Menschen bestehenden IS-affinen islamistisch-jihadistischen Szene in Deutschland. Er galt in dieser Szene als führende Autorität mit hoher Strahlkraft und hielt sowohl in Hildesheim als auch anderenorts im Bundesgebiet Predigten, Gebetsveranstaltungen, Vorträge sowie Seminare und war unter anderem mit Videoauftritten in sozialen Netzwerken aktiv. Er animierte seine Anhänger, zum IS auszureisen, zumindest aber in Deutschland für den IS tätig zu werden, etwa durch die Begehung von Anschlägen. Ausreisewillige unterstützte er insbesondere durch Vermittlung von Kontakten, durch Verhaltenshinweise sowie finanziell. Er war vom IS zu diesen Zwecken als dessen Vertreter in Deutschland eingesetzt worden. Er hatte direkten Kontakt zu Entscheidungsträgern des IS in dessen Herrschaftsgebiet und konnte von Deutschland aus auf Entscheidungsprozesse von IS-Führern Einfluss nehmen. Insbesondere hatte er Einfluss auf die Verwendung von Personen, die mit seiner Hilfe zum IS ausgereist waren, sowie auf den Umgang mit diesen. So war es ihm etwa möglich, die Haftentlassung einer Person zu bewirken, die schließlich im vorliegenden Prozess als sog. Kronzeuge ausgesagt hatte. In Deutschland war er vom IS autorisiert, in dessen Namen zu handeln und insbesondere „Rechtsgutachten“ zu erstatten. Der Angeklagte Mahmoud O. unterstützte ihn primär im Umfeld der Hildesheimer DIK-Moschee. Dabei handelte dieser gemeinsam mit einem früheren Mitangeklagten, den der Senat nach einem Geständnis bereits mit Urteil vom 29. April 2020 rechtskräftig unter anderem wegen Unterstützung des Islamischen Staates zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt hatte.

Der Angeklagte Boban S. war nach den Feststellungen des Senats bis zu seiner Verhaftung eine zentrale Person der IS-affinen islamistisch-jihadistischen Szene in Nordrhein-Westfalen. Er hielt zuletzt in einer von ihm gemieteten und als „Madrasa“ (Unterrichtsstätte) bezeichneten Wohnung in Dortmund Vortrags- und Indoktrinationsveranstaltungen für überwiegend junge IS-Sympathisanten. Dabei versuchte er, seine „Schüler“ für eine Ausreise in das Herrschaftsgebiet des IS, für einen Anschluss an den IS und für eine Teilnahme am bewaffneten Jihad zu motivieren.

Auch der Angeklagte Hasan C. führte in einem von ihm betriebenen Reisebüro in Duisburg solche Unterrichts- und Indoktrinationsveranstaltungen durch, in denen er – teilweise mit Materialien des IS – radikal-islamistische Inhalte propagierte.

Die Angeklagten Ahmad A., Hasan C. und Boban S. handelten nach der Überzeugung des Senats jedenfalls im Einzelfall Hand in Hand, etwa, indem sie ihre Zuhörer aufforderten oder dazu ermunterten, Veranstaltungen der jeweils anderen Angeklagten zu besuchen oder dort Rat einzuholen. Sie waren jedoch nicht Teil eines Netzwerkes mit einer festgefügten Struktur und festgeschriebenen arbeitsteiligen Abläufen.

Konkret hat der Senat eine Beteiligung des Angeklagten Ahmad A. an zwei sog. Ausreisefällen festgestellt. In einem Fall unterstützte er einen zum Islam konvertierten deutschen Staatsangehörigen bei der Ausreise durch die Vermittlung von Schleuserkontakten und die Zahlung eines Geldbetrages in Höhe von mindestens 2.000 €. Er verschaffte ihm durch seinen Einfluss innerhalb des IS eine Stellung im dortigen Geheimdienst, wo dieser in Raqqa für die Überwachung der aus Deutschland stammenden IS-Mitglieder zuständig war. In einem weiteren Fall unterstützte er unter Beteiligung des Mitangeklagten Mahmoud O. zwei Ausreisewillige bei ihrer Ausreise in die Herrschaftsgebiete des IS, wobei einer von diesen im medizinischen Dienst des IS arbeiten sollte. Dieser spätere Kronzeuge in dem vorliegenden Verfahren sagte sich allerdings in der Folgezeit vom IS los und wurde mit seiner Ehefrau nach einem gescheiterten Fluchtversuch in Raqqa inhaftiert, auf Intervention des Angeklagten Ahmad A. hin aber wieder freigelassen. Ihm gelang in der Folgezeit die Flucht. Der weitere von Ahmad A. unterstützte Ausreisewillige brach sein Vorhaben in der Türkei ab. Der Angeklagte Mahmoud O. hatte diese Ausreisewilligen dazu verleitet, in betrügerischer Absicht vor ihrer Ausreise Mobiltelefone auf Kredit zu kaufen, die er ihnen für insgesamt rund 3.000 € abkaufte, um hierdurch ihre Ausreise zu finanzieren.

Die Angeklagten Boban S. und Hasan C. haben nach den Feststellungen des Senats jeweils in drei Fällen Ausreisen gefördert. Sie motivierten beide u.a. zwei 24-jährige Zwillinge, sich dem IS anzuschließen, und unterstützten sie bei der Ausreise. Einer dieser Zwillinge war zuvor als ehemaliger Bundeswehrsoldat in Afghanistan im Einsatz gewesen. Beide Zwillinge begingen im Frühjahr 2015 Selbstmordattentate im Irak mit einer Vielzahl von Todesopfern.

Der Angeklagte Ahmad A. hat sich im Verfahren nicht eingelassen. Der Angeklagte Boban S. hat die Tatvorwürfe bestritten. Der IS sei kein Thema seiner rein theologischen Vorträge gewesen. Der Angeklagte Hasan C. hat zwar eingeräumt, zwischenzeitlich Sympathien für den IS gehabt zu haben. Er habe seine Schüler als Vorbeter und Arabisch- sowie Koranlehrer aber nie ideologisch in diesem Sinne indoktriniert. Allerdings habe er einem Ausreisewilligen im Wissen um dessen Vorhaben, sich dem IS als Kämpfer anzuschließen, ein Flugticket nach Gaziantep (Türkei) verkauft. Der Angeklagte Mahmoud O. hat eingeräumt, in einem Fall betrügerisch erlangte Handys und Tablets gekauft zu haben, um sie gewinnbringend weiterzuverkaufen.

Der Senat hat seine Überzeugung im Wesentlichen aus den Aussagen des bezeichneten Kronzeugen, einer VP 01 genannten Vertrauensperson, des früheren Mitangeklagten sowie eines weiteren Zeugen gewonnen, wobei er die Vertrauensperson aufgrund einer Sperrerklärung des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen allerdings nicht unmittelbar hat vernehmen können. Stattdessen hat er den Führungsbeamten dieser Vertrauensperson sowie den Leiter der Ermittlungskommission zu deren Erkenntnissen gehört. Er war sich dabei der Schwierigkeiten bei der Würdigung von Aussagen von Kronzeugen und gesperrten Vertrauenspersonen bewusst. Die Aussagen der vorgenannten Zeugen wiesen aber derart „frappierende Übereinstimmungen“ auf, dass der Senat ausschließen kann, dass es sich um Falschbelastungen oder gar „erdachte Lügengebäude“ handele. Darüber hinaus war insbesondere der sog. Kronzeuge an 20 Verhandlungstagen intensiv befragt worden und hat das umfangreiche und komplexe Geschehen weitgehend widerspruchsfrei geschildert.

Weiter stützen eine Vielzahl sonstiger Beweismittel die getroffenen Feststellungen. Beispielsweise waren bei dem Angeklagten Ahmad A. Audiodateien gefunden worden, in denen der Angeklagte die Verbrennung eines jordanischen Piloten durch den IS bei lebendigem Leib rechtfertigte. Betreffend den Angeklagten Hasan C. haben Zeugen bestätigt, dass er im kleinen Kreis engerer Schüler u.a. grausame Hinrichtungs- und Anschlagsvideos gezeigt habe. Bei dem Angeklagten Boban S. war u.a. ein von ihm handschriftlich verfasstes Dokument mit dem Titel „Die Lügen über den Islamischen Staat“ gefunden worden, in dem der Angeklagte Argumente zu entkräften versuchte, die gegen die Legitimität des IS und dessen gewaltsames Agieren vorgebracht wurden.

Auch die einzelnen konkreten Unterstützungen von Ausreisen in das Herrschaftsgebiet des IS hält der Senat aufgrund einer Vielzahl von Beweismitteln als erwiesen.

Der Senat hat den Angeklagten Ahmad A. insbesondere wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen verurteilt. Ahmad A. war von Führungskräften des IS mit der Ausübung eines Funktionspostens betraut und in einer Weise in den IS eingebunden, dass er auf Entscheidungen, Organisation und Aktivitäten der Vereinigung Einfluss nehmen konnte. In einem dieser Fälle verurteilte der Senat ihn zudem wegen Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat sowie wegen Terrorismusfinanzierung. Im Übrigen schied eine Verurteilung wegen dieser Delikte aus, weil die entsprechenden Strafvorschriften erst nach der Tatbegehung in Kraft getreten waren.

Die Angeklagten Boban S. und Hasan C. hat der Senat jeweils wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in drei Fällen verurteilt. In jeweils einem dieser Fälle erfolgte die Verurteilung zudem wegen Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.

Den Angeklagten Mahmoud O. hat der Senat wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Tateinheit mit Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, mit Terrorismusfinanzierung sowie mit Anstiftung zu drei Fällen des Betruges verurteilt.

Für die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland sieht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren vor, für die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland eine solche von 6 Monaten bis zu 10 Jahren. Einen minder schweren Fall hat der Senat in keinem Fall angenommen.

Konkret hat der Senat zugunsten aller Angeklagten insbesondere berücksichtigt, dass diese nicht vorbestraft waren, Untersuchungshaft unter erschwerten Sicherheitsmaßnahmen erlitten haben und das Verfahren lange gedauert hat. Erschwerend hat er berücksichtigt, dass es sich bei dem IS im Tatzeitraum um die weltweit gefährlichste und schlagkräftigste terroristische Vereinigung gehandelt hat.

Zum Nachteil des Angeklagten Ahmad A. fiel zudem ins Gewicht, dass dieser Tathandlungen mit großer Intensität von Propaganda bis hin zur konkreten logistischen und finanziellen Unterstützung begangen hat. Er hat für die beiden Einzeltaten auf Freiheitsstrafen von 8 Jahren und 6 Monaten sowie von 4 Jahren und 6 Monaten erkannt und hieraus eine Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von 10 Jahren und 6 Monaten gebildet.

Zulasten des Angeklagten Boban S. hat der Senat berücksichtigt, dass dieser neben der ideologischen Vorbereitung erhebliche Aktivitäten bei der Planung und Organisation der Ausreisen entfaltet hat. Betreffend die Förderung der Ausreise der beiden Zwillinge hat der Senat zudem erschwerend berücksichtigt, dass einer der beiden als gelernter Soldat eine besondere Gefahr darstellte, ihre Selbstmordanschläge viele Menschenleben gefordert haben und auch durch die mediale Ausschlachtung von besonderer Bedeutung für den IS waren. Der Senat hat hier auf eine Einzelstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten sowie in zwei Fällen auf Strafen von 3 Jahren erkannt und hieraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren gebildet.

Betreffend den Angeklagten Hasan C. hat der Senat erschwerend zunächst dessen Unterstützung bei der Ausreise der vorgenannten Zwillinge gewürdigt, andererseits aber zu seinen Gunsten in Ansatz gebracht, dass die durch ihn begangenen Unterstützungshandlungen nicht sonderlich intensiv waren. Der Senat hat insoweit eine Einzelstrafe in Höhe von 3 Jahren 6 Monaten sowie in zwei Fällen Strafen von 3 Jahren festgesetzt und hieraus eine Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von 6 Jahren und 6 Monaten gebildet.

Zulasten des Angeklagten Mahmoud O. hat der Senat berücksichtigt, dass dieser maßgebliche Unterstützungshandlungen begangen hat und über die Tat hinaus in kriminelle Strukturen eingebunden war. Die eher ungewöhnliche Strafhöhe von 4 Jahren und 2 Wochen beruhte darauf, dass die Vollstreckung einer anderweitigen Ersatzfreiheitsstrafe zu berücksichtigen war, die ohne diese bereits erfolgte Vollstreckung in das vorliegende Verfahren einzubeziehen gewesen wäre.

Die Generalbundesanwaltschaft hatte für Ahmad A. eine Gesamtfreiheitstrafe von 11 Jahren und 6 Monaten, für Hasan C. eine Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Jahren, für Boban S. eine Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Jahren und 6 Monaten sowie für Mahmoud O. eine Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten beantragt. Die Verteidiger des Angeklagten Hasan C. hatten eine geringere Freiheitsstrafe von höchstens 6 Jahren, die Verteidiger des Angeklagten Mahmoud O. hatten eine Geldstrafe wegen Hehlerei und die übrigen Verteidiger hatten den Freispruch der von ihnen jeweils verteidigten Angeklagten beantragt.

Die Entscheidung kann mit der Revision zum Bundesgerichtshof angegriffen werden und ist noch nicht rechtskräftig. Die Haftbefehle gegen die drei noch in Haft befindlichen Angeklagten hat der Senat aufrecht erhalten.

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