Die Heckenpflege der Stadt Hildesheim führt zu negativen Auswirkungen auf Nachtigall, andere Vögel und weitere Tiere. Mit Blick auf den Erhalt und die Entwicklung der Artenvielfalt kommt den dauerhaften linearen Strukturelementen jedoch (auch) in Niedersachsen eine besondere Bedeutung zu. Dies findet nunmehr auch in dem Niedersächsischen Maßnahmenpaket für den Natur-, Arten- und Gewässerschutz (sog. Niedersächsischer Weg) Ausdruck.
Ornithologen und Naturliebhaber erfassen den Bestand der singenden Nachtigallen im Stadtgebiet Hildesheim schon seit mehr als 75 Jahren. Bereits vor Gründung des Ornithologischen Vereins zu Hildesheim (OVH) im Jahr 1953 wurde damit begonnen. Alljährlich im Zeitraum Mitte April bis Ende Mai ruft der OVH Vogelfreunde auf, singende Nachtigallen zu melden, damit deren Bestand dokumentiert werden kann. Die ersten Lücken in der Verbreitung in und um Hildesheim haben die Ornithologen bereits Anfang Mai entdeckt.
Warum gerade die Nachtigall? Der Gesang dieses Vogels ist vielen Bürgern sehr gut bekannt. Damit ist die Nachtigall als Leitart für alle andere Bewohner der Hecken und verbuschten Landschaften sehr gut geeignet. Geht es der Nachtigall gut oder schlecht, kann das auf andere Vogelarten abgeleitet werden. Die Nachtigall ist ein Bodenbrüter. Das heißt, sie baut ihr Nest unter dichten Büschen und Hecken. Andere typische gefiederte Heckenbewohner sind Amsel, Buchfink, Dorngrasmücke, Gelbspötter, Heckenbraunelle, Rotkehlchen und Klappergrasmücke. Diese Arten haben alle etwas gemeinsam: sie benötigen Insekten als Futter für sich selbst sowie für ihren Nachwuchs. Damit schließt sich der Kreis, denn Hecken und buschige Landschaften sind ebenfalls Lebensräume für viele Insektenarten.
Kleine Säugetiere sind ebenfalls darauf angewiesen, dass es Hecken mit guter Deckung gegen Prädatoren gibt. Beispiele sind Spitzmäuse und Igel. Die Zahl der auf Hecken angewiesenen Arten kann endlos erweitert werden.
Es gibt solche Habitate nicht nur an Straßen und in Parkanlagen, sondern auch an den Ufern der Gewässer. Hierzu zählen auch Schilfstreifen an Seen wie dem Hohnsensee in Hildesheim oder an Entwässerungsgräben. Neben diesen Habitaten gibt es zwei weitere sehr bedeutenden Lebensräume für Insekten, Kleinsäuger und Vögel. Das sind zum einen die zahlreichen Hausgärten und zum anderen die Schrebergartenkolonien. Hier bietet sich Tieren und Insekten ein großer, zusammenhängender schutzbietender Lebensraum.
Wir beobachten mit Sorge, dass reihenweise diese Habitate ohne jeglichen Ersatz vernichtet werden. Hausgärten werden in lebensfeindliche Steinwüsten verwandelt, Schrebergärten müssen Bauprojekten weichen. Empörte Bürger berichten uns von Abholzen und Beseitigungen von Bäumen, Gebüschen und Hecken im Zuge städtischer Pflegeeinsätze. Regelmäßig können wir Berichte darüber in der HAZ lesen. In den letzten Wochen wurde am Sportplatz in Himmelsthür ein massiver Rückschnitt eines Gebüschs durchgeführt. In diesem Gebüsch brütete seit Jahren zuverlässig eine Nachtigall. In diesem Jahr wird sie dort mit Sicherheit nicht anzutreffen sein.
Immer wieder werden die Verantwortlichen der Stadt auch von Mitgliedern des OVH angesprochen. Stets wurde mit der Zusage reagiert, dass man in Zukunft die Bürger mehr beteiligen wolle. Aber leider wurde diese Zusage nicht oft umgesetzt. Gelegentlich gab es einen Schritt in Richtung Bürgerbeteiligung. Nach der großen Aufregung um die Beseitigung der Gebüsche an den Ufern des Kalenberger Grabens, hat die Stadt zu Begehungen im Ehrlicher Park eingeladen, als dort Arbeiten angestanden haben. Man hat miteinander gesprochen, zugehört und einiges umgesetzt. Im März 2019 gab es eine Bürgerbeteiligung im Zuge des Projekts „Zukunft Stadtgrün“. Der Hohnsensee und die Wallanlagen sollen aufgewertet werden. Wir sind aber sehr besorgt, dass die Pläne eher in Richtung einer sauber angelegten Grünanlage des 19. JH läuft und Hecken und Gehölz als Lebensraum für Tiere und Insekten keine große Beachtung finden werden.
Es gibt auch Positives zu berichten. Vielerorts werden im Rahmen von „Stadtgrün naturnah“ Blühflächen und -streifen angelegt. Auf dem Hildesheimer Nordfriedhof entwickelt sich eine Zusammenarbeit mit dem Grünflächenamt, Anwohnern der Nordstadt und dem OVH. Die verschiedenen Interessen wie die Nutzung der Anlage durch die Bürger und der Schutz der dort lebenden Tiere müssen mit der besonderen Würde des Friedhofs zu vereinbaren sein.
Positiv sehen wir auch das Projekt „Naturstadt: Kommunen schaffen Vielfalt: Libellenflugplatz Steuerwald“. Das Gebiet um den Altarm der Innerste bei Steuerwald mit wichtigen Feuchtlebensräumen soll im Sinne der Artenvielfalt aufgebessert werden. Im vergangenen Jahr wurde eine botanische Bestandsaufnahme durchgeführt. Aktuell laufen Kartierungen zu Amphibien und Vögeln.
Der OVH ist nicht der Ansicht, dass Pflegemaßnahmen an Grünflächen nicht stattfinden sollen. Im Gegenteil: In unserer intensiv genutzten Landschaft ist ein Management der Natur und Landschaft unumgänglich. Hecken und Büsche müssen ab und zu geschnitten werden. Aber bitte mit Augenmaß! Die Rückschnitte oder das auf den Stock setzen der Büsche darf nur abschnittsweise durchgeführt werden, also zum Beispiel nur 1/3 der Heckenlänge in einem Jahr bearbeiten.
Ohne Frage bestehen diese Probleme nicht nur in der Stadt Hildesheim. Auch viele Flächen im Landkreis sind betroffen. Daher wenden wir uns auch an die Öffentlichkeit im Landkreis Hildesheim.
Es muss möglich sein ein solches Verfahren zu etablieren. Wenn die Stadt als Grüne Stadt anerkannt werden will, muss der Artenvielfalt eine wesentlich höhere Priorität eingeräumt werden. Wir fordern eine Durchführung der Pflegemaßnahmen an den Grünflächen unter dem Primat der Ökologie und nicht der Kostenoptimierung. Angesichts des massiven Artensterbens ist das die Verwaltung den Menschen in der Stadt schuldig.
Nicht zuletzt das jüngste Urteil des Verfassungsgerichts hat auf die Verantwortung der heutigen Generation für den Schutz und Erhalt der Umwelt verwiesen – und zwar mit konkreten Maßnahmen. Wie heißt es doch in § 20a des Grundgesetzes: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen“. Bislang wurde das oft als Verfassungslyrik abgetan, jetzt ist die Vorschrift aktiviert und wirklich gleichgestellt mit anderen Grundrechten! Die Stadtverwaltung könnte dieses Urteil als Anstoß für eine grundlegende Veränderung in der Grünpflege nehmen. Der OVH ist gerne bereit sein Fachwissen den Behörden zur Verfügung zu stellen, wenn Entscheidungen über neue Pflegeprogramme anstehen.
Ornithologischer Verein zu Hildesheim e. V.
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