Zum Inhalt springen

Pflegekammer: Pflegekräfte brauchen Schutzausrüstung und kein Merci

HANNOVER. Angesichts der weiteren Ausbreitung des Coronavirus und der steigenden Anzahl von Infizierten werden drastische Maßnahmen ergriffen, um die weitere Ausbreitung zu verringern. Dennoch muss das Gesundheitswesen in Deutschland darauf vorbereitet sein, künftig tausende Erkrankte auf Normal- und Intensivstationen zu behandeln. Doch woher soll dafür das Personal kommen?

Schon heute fehlen Pflegefachpersonen an allen Ecken und Enden. Der Pflegenotstand ist in vielen Regionen und Einrichtungen heute schon Realität. Zur Entlastung der Fachkräfte werden tausende Helferinnen und Helfer benötigt. Doch wie können diese schnell erfasst und auf die Situation vorbereitet werden? Ulrike Mewing, Vorstandsmitglied der Pflegekammer Niedersachsen, gibt Antworten.

Es ist jetzt schon absehbar, dass es zu wenige Pflegefachpersonen und Hilfskräfte gibt, wenn sich die Coronainfektionen weiter ausbreiten. Gibt es noch Ressourcen?

Ja, die gibt es. Es gibt eine große Zahl von Pflegekräften, die in der Vergangenheit ihrem Beruf den Rücken gekehrt haben und sich jetzt bereit erklären, zur Verfügung zu stehen, wenn sich die Situation zuspitzt. Viele haben sich eine Tätigkeit fern vom Patienten gesucht. Ebenso arbeiten zahlreiche Pflegefachkräfte in Teilzeit. Die Coronakrise ist eine wirkliche Herausforderung und ich bin mir sicher, dass mit einem öffentlichen Aufruf und einem deutlichen finanziellen Anreiz diese KollegenInnen zeitweise in den Beruf zurückkehren würden, um in dieser Situation zu unterstützen und die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung aufrecht zu erhalten. Gezielt eingesetzte Hilfskräfte, die pflegeferne Tätigkeiten übernehmen könnten, sind auch sehr wichtig. Dafür benötigen wir aber Konzepte, da man die zusätzlichen Helfer nicht einfach ins kalte Wasser werfen kann. Auch die Kinderbetreuung muss sichergestellt werden. Es gibt gerade im Pflegeberuf zahlreiche Frauen in Teilzeit, die ohne Kinderbetreuung zu Hause bleiben müssen.

Was brauchen Ihre Kolleginnen und Kollegen in der gegenwärtigen Situation am meisten?

Öffentliche Unterstützung und ausreichend Schutzausrüstung sind essentiell. Leider besteht in manchen Einrichtungen schon jetzt ein Mangel, so dass Mund- und Atemschutzmasken teilweise den ganzen Tag genutzt werden. Das darf nicht sein! Der Staat muss dafür sorgen, dass Pflegende, Hilfskräfte und Ärzte ausreichend geschützt werden! Natürlich darf darüber hinaus nicht vergessen werden, dass es auch außerhalb der Kliniken, in der ambulanten Pflege oder in der Langzeitversorgung einen Bedarf an Desinfektionsmitteln und Schutzausrüstungen gibt. Des Weiteren brauchen wir dringend eine Wertschätzung, die über warme Worte hinausgeht. Bundeswirtschaftsminister Altmaier hat in den Medien geäußert, dass die Bundesrepublik ausreichend Rücklagen angehäuft hat, um die finanziellen Ausfälle der Unternehmen in dieser Krise zu mildern. Nun sollte auch Geld in die Hand genommen werden, um die Pflege- und Hilfskräfte sowie Ärzte zu unterstützen, die mit ihrem persönlichen Einsatz maßgeblich dazu beitragen, die Situation zu meistern und dabei erhöhten gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt werden. Wir stellen uns eine gesonderte Gefahrenzulage für die Pflegefachpersonen vor.

Was halten Sie davon, Hilfskräfte, zum Beispiel unter Medizinstudierenden zu rekrutieren? Was sind dabei die Herausforderungen?

Diese Frage kann man nicht allgemeingültig beantworten. Wir werden möglicherweise jeden brauchen. Es gibt sicher Medizinstudierende, die eine wirkliche Unterstützung darstellen, die die schon Krankenhauserfahrung haben, aus dem Rettungsdienst kommen oder vor ihrem Studium in der Pflege gearbeitet haben. Man muss sehr genau schauen, wo man diese Menschen einsetzt. In der Logistik, für Transportdienste beim Verteilen von Mahlzeiten sehe ich kein Problem. Auf den Intensivstationen sehe ich die Situation eher kritisch. Jeder der in diesem sensiblen Bereich arbeitet, weiß wie lange es dauert, bis man dort eingearbeitet ist und sicher den Umgang mit Beatmungspatienten beherrscht. In dieser Situation zusätzlich Hilfskräfte einzusetzen, kann die verbliebenen erfahrenen Pflegekräfte ungemein belasten.

Wie kann man die Arbeit von Pflegefachpersonen in dieser besonderen Situation besonders würdigen?

Wir brauchen kurzfristig finanzielle Anreize und eine gelebte Wertschätzung, die über warme Worte hinausgeht. Einspringprämien, Gefährdungszuschlag, Steuerermäßigungen, zusätzliche Urlaubstage sind nur ein paar Stichworte. Langfristig braucht es flächendeckende Tarifverträge und deutlich höhere Gehälter als heute. Wir haben schon mehrfach mindestens 4.000 Euro für eine Vollzeitstelle in der Pflege gefordert. Nur so können wir langfristig mehr Personal gewinnen und im Beruf halten, um für die kommenden Herausforderungen gewappnet zu sein.

Was kann die Pflegekammer aktuell tun?

Durch die Pflegekammer gibt es mit dem Pflegeberuferegister erstmals einen Überblick über nahezu alle Pflegefachpersonen in Niedersachsen. Aufgrund gesetzlicher Regelungen können wir im Katastrophen- und Krisenfall sehr schnell auf die Daten der über 90.000 Pflegefachpersonen zurückgreifen, auch auf solche die nicht mehr in der direkten Pflege tätig sind. Dieses Register hätte es ohne die Pflegekammer niemals gegeben. Wir können schnell die Mitglieder benachrichtigen oder auch eine Koordinierungsfunktion übernehmen. Die Bedeutung eines solchen Registers wird in der gegenwärtigen Krise umso deutlicher. Wenn erforderlich, können wir unkompliziert dazu aufrufen, dass sich Personen bei uns melden die Hilfsdienste übernehmen wollen. Wir stehen in Gesprächen mit der Politik und bringen unsere Ideen und Forderungen vor. Wir planen die Möglichkeit von komprimierten Bildungsangeboten, wie zum Beispiel den Umgang mit Beatmungspatienten, um erfahrene Pflegekräfte aus anderen Bereichen für die unterstützende Versorgung von Intensivpatienten zu schulen.

Ulrike Mewing arbeitet seit 1989 als Krankenschwester. Sie ist Fachkraft für Intensivmedizin und Anästhesie sowie Consultant of Palliative Care. Aktuell arbeitet sie als Praxisanleiterin im Elbe Klinikum Buxtehude. Außerdem ist sie mit der Einarbeitung von neuen Mitarbeitenden auf den Intensivstationen betraut. Sie ist Mitglied im Vorstand der Pflegekammer Niedersachsen.

PR

Hinweis zu der Meldung
Diese Seite zeigt gesponsorten Marketing-Inhalt, Quell- und Informationslinks sowie extern eingespielte Banner und Flash-Anzeigen.