Zum Inhalt springen

Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über das Infektionsgeschehen an Kindertagesstätten und Schulen?

NIEDERSACHSEN. Niedersachsens Sozialministerin Dr. Carola Reimann hat namens der Landesregierung auf eine Dringliche Anfrage der Fraktion der FDP geantwortet.

Die Abgeordneten der Fraktion der FDP hatten gefragt:

Am 10. Februar 2021 stellte das Hermann-Rietschel-Institut der Technischen Universität Berlin die Ergebnisse seiner Arbeit „COVID-19 Ansteckung über Aerosolpartikel – Vergleichende Bewertung von Innenräumen hinsichtlich des situationsbedingten R-Wertes“ vor. Darin kommen die beteiligten Forscher zu der Auffassung, dass der situationsbedingte R-Wert in Klassenräumen um ein Vielfaches höher sei als beispielsweise in Museen, Theatern oder Friseurbetrieben.

In der Antwort der Landesregierung auf die Anfrage der Abgeordneten Björn Försterling, Lars Alt und Susanne Schütz (FDP) „Nachfrage zur Umsetzung der rückblickenden Clusterkontrolle in den Schulen“ (Drucksache 18/8440) heißt es vonseiten der Landesregierung hingegen: „Auswertungen des Niedersächsischen Landesgesundheitsamtes (NLGA) haben ergeben, dass auch in den Zeiten von Präsenzunterricht SARS-CoV-2-Übertragungen in Schulen eher selten waren, u. a. da in den niedersächsischen Schulen frühzeitig Maßnahmen zur Hygiene und Kontaktreduzierung getroffen wurden.“

Im Merkblatt „Bedeutung mobiler Luftreinigungsgeräten für Infektionsrisiken durch SARS-CoV-2 – Prüfsteine und Handlungsempfehlungen“ heißt es hinsichtlich des Einsatzes von mobilen Luftreinigungsgeräten in Klassenzimmern, dass „in jedem Einzelfall eine sehr genaue Prüfung von Annahmen und Aussagekraft sowie Qualität der Stellungnahmen erforderlich (sei): Dies ist nicht nur erforderlich, um zu prüfen, ob die jeweilige Betrachtung wissenschaftlich zutreffend ist. Dies ist insbesondere für die Beurteilung erforderlich, ob die partikuläre Betrachtung der Stellungnahme unter den realen Bedingungen eines gesamten Schulalltages, der bestehenden unterschiedlichen Gebäude bzw. Räume sowie sonstigen Voraussetzungen tatsächlich noch einen belastbaren Rückschluss über eine Verringerung des realen Infektionsrisikos zulässt.“

Ministerin Dr. Carola Reimann beantwortete die Anfrage namens der Landesregierung:

  • Es gilt das gesprochene Wort –


„Bei Schließungen bzw. dem Öffnen von Schulen während der Corona-Pandemie gilt immer, einerseits den Gesundheitsschutz aller an Bildung Beteiligten und andererseits das Recht auf Bildung miteinander in Einklang zu bringen. Auch die psychosozialen Auswirkungen einer langen Zeit des Distanzunterrichts auf die Kinder und Jugendlichen müssen wir genau im Blick behalten. Oberste Maxime ist auch hier immer der allgemeine Infektionsschutz. Es gilt, den Schülerinnen und Schülern auch in den Zeiten der Pandemie ein bestmögliches Maß an Bildung in Form eines hohen Anteils von Präsenzunterricht bieten zu können.

Daher wurde für die Schulen ein strenges Hygienekonzept entwickelt. So gilt z. B., dass die Schülerinnen und Schüler ihre Mund-Nase-Bedeckung immer dann tragen müssen, wenn der Mindestabstand von 1,5 m nicht eingehalten werden kann. Außerdem wird darauf geachtet, dass sich die Schülerinnen und Schüler regelmäßig die Hände waschen und die Schulräume immer gut gelüftet werden.

Die derzeit verkleinerten Klassen im Szenario B gewährleisten, dass sich nicht zu viele Personen in einem Raum aufhalten und somit der Mindestabstand eingehalten werden kann. Um hier Infektionen so gut wie möglich eingrenzen zu können, wurden an den Schulen feste Gruppen gebildet. Das Kohortenprinzip wurde bereits mit dem Beginn des Schuljahres 2020/2021 an allen niedersächsischen Schulen eingeführt.

Mit diesen Regelungen wird in der Schule ein zusätzlicher Schutz für alle Beteiligten gewährleistet, der so nicht auf den privaten Bereich übertragbar ist. Die gemeldeten Zahlen der Schulen zu infizierten Schülerinnen und Schülern zeigen, dass es keinen Hinweis auf Cluster-Infektionen bzw. offensichtliche Infektionsketten an Schulen gibt.

Von den insgesamt rund 3.000 Schulen in Niedersachsen meldeten am 16.02.2021 655 Schulen einen oder mehrere Infektionsfälle an der Schule. Das entspricht rund 22 Prozent der Schulen. Von diesen meldeten 439 Schulen nur einen infizierten Fall im Bereich der Schülerinnen und Schüler pro Schule.

Das sind rund 70 Prozent der meldenden Schulen. Aber auch die weiteren Fälle bewegen sich hauptsächlich im Bereich von zwei und drei infizierten Schülerinnen und Schülern pro Schule.

Dies vorangeschickt beantworte ich die Fragen wie folgt:

  1. Was hat die Landesregierung in den vergangenen zwölf Monaten unternommen, um das Infektionsgeschehen in Kitas und Schulen wissenschaftlich untersuchen und bewerten zu lassen?

Im Bereich des Kultusministeriums erfolgt eine tägliche Beobachtung des Infektionsgeschehens sowie ein wöchentlicher Austausch mit dem Landesgesundheitsamt zur Infektionslage und dem daraus resultierenden weiteren Vorgehen. Mit Hilfe eines für die Schulen zur Verfügung gestellten Meldesystems wird das Infektionsgeschehen täglich abgefragt und vom Kultusministerium ausgewertet. Darüber hinaus hat das Kultusministerium auch im Kita-Bereich ein Meldesystem zur Infektionslage eingeführt.

Im Herbst 2020 hat das NLGA eine Erhebung bei den niedersächsischen Gesundheitsämtern zu SARS-CoV-2 positiv getesteten Kontaktpersonen unter Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften im Zeitraum der Kalenderwochen 36 – 41 durchgeführt. Hierbei wurde festgestellt, dass von 10860 getesteten Kontaktpersonen der Kategorie 1 in Schulen 358 positiv getestet waren, davon vermutlich zwischen 80 (0,7%) und 159 (1,5%) aufgrund einer Ansteckung in der Schule. In diesem Zeitraum wurde noch überwiegend im Szenario A unterrichtet und es bestand keine Maskenpflicht am Sitzplatz.

Darüber hinaus wurde über die Kultusministerkonferenz eine länderübergreifende wissenschaftliche Studie zum Infektionsgeschehen an Schulen beauftragt. Diese wird vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Zusammenarbeit mit der Universität Köln durchgeführt.

Auch in Niedersachsen wird das durch das Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kulturgeförderte Schul-Modellprojekt „TRAC 19 – TRansmissions-Analytik COVID-10″ durchgeführt. Das MWK fördert das auf 12 Monate angelegte Projekt. Daran beteiligt sind die Leibniz Universität Hannover, in Kooperation mit der Medizinischen Hochschule Hannover,das Niedersächsische Zentrum für Biomedizintechnik, Implantatforschung und Entwicklungund die Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover.

Das Projekt zur Aufklärung von Covid – Infektionswegen bei Schülerinnen und Schülern im Kindes- und Jugendalter und deren Lehrkräften wurde nach zuvor erfolgtem Lockdown bei stufenweiser Wiedereröffnung im letzten Jahr an zwei niedersächsischen Schulen begonnen. Im Gymnasium Schillerschule in Hannover wurden zuerst die Testungen begonnen, danach an der IGS Roderbruch. Auf der Grundlage eines zeitversetzen Ablaufplans werden in der Schillerschule die Testungen im März, an der IGS Roderbruch im Mai 2021 beendet sein. Aktuell liegen daher noch keine Projektergebnisse vor.

Das Kultusministerium hat sich in drei Fachrunden mit Vertreterinnen und Vertretern der Medizin, Epidemiologie, Virologie, Pädiatrie, Bildungsforschung sowie Kinder- und Jugendpsychologie beraten und ausgetauscht.

Darüber hinaus haben auf Ebene der Kultusministerkonferenz im vergangenen Jahr zwei Expertengespräche unter Teilnahme Niedersachsens stattgefunden: eines mit Virologinnen und Virologen zu den Rahmenbedingungen für Schulöffnungen und ein zweites mit Fachvertreterinnen und Fachvertretern unterschiedlicher wissenschaftlicher Professionen zum Thema Lüftungsgeräte.

  1. Wie bewertet die Landesregierung die o. g. vergleichende Bewertung des erhöhten spezifischen R-Werts für Schulen?

In der vorliegenden Form kann die Landesregierung die dargestellten Ergebnisse nicht nachvollziehen, da in dem genannten Papier keine Angaben zur Methodik getätigt werden.

Stattdessen wird im Wesentlichen auf das Modell aus der Arbeit von Kriegel, Buchholz et al. Bezug genommen, die bislang nur in einer Vorabveröffentlichung vorliegt, also noch keinen Gutachterprozess durchlaufen hat. Die Daten dieser Studie sprechen eher für eine geringe Ausbreitungstendenz in Schulen.

Von den 10 dort betrachteten Ausbruchsszenarien gehörten die beiden Szenarien in Berliner Schulen zu den 3 Geschehnissen mit der geringsten Ansteckungsquote (6% und 10%) im Vergleich zu den anderen dort betrachteten Szenarien. Außerdem stellen solche Ausbrüche ja die Extremfälle dar und berücksichtigen nicht die vielen Situationen, in denen infizierte Schülerinnen und Schüler Schulen besucht haben und dabei gar keine weiteren Schülerinnen und Schüler angesteckt haben. Das aber, so berichten die Gesundheitsämter ist der Regelfall.

In der Studie werden bei der Modellentwicklung sehr viele Annahmen getroffen. Wie die Autoren selbst angeben, ist „Die Beurteilung des absoluten Infektionsrisikos über Aerosolpartikel [..] noch nicht ausreichend evidenzbasiert.“ Somit geht es laut Titels der Veröffentlichung von Kriegel und Hartmann um eine „Vergleichende“ und nicht um eine quantitative Bewertung von Innenräumen. In Unkenntnis der genauen methodischen Grundlage der angesprochenen Studie können wir nur mutmaßen.

Das Umweltbundesamt teilt auf seiner Homepage mit Datumseintrag 11.02.2021 mit: „Derzeit sind mathematische Viruspartikelausbreitungs- und Infektionsmodelle zur Prognose eines Infektionsrisikos durch Aerosolpartikel in Innenräumen in Entwicklung, welche verschiedene Faktoren bezüglich der Anzahl der zusammenkommenden Personen, ihrer jeweiligen Aktivitäten (Sprechen, Singen etc.), der Aufenthaltszeit, der Raumeigenschaften (Raumvolumen) und der Lüftung (Lüftungsrate) berücksichtigen.

Solche Modelle, die zurzeit noch vom UBA auf ihre Praxistauglichkeit geprüft werden, können zukünftig eine Hilfestellung geben, wenn abgeschätzt werden muss, ab welcher Aufenthaltszeit unter Berücksichtigung der zuvor genannten Faktoren in einem Raum ein erhöhtes Infektionsrisiko durch Aerosolpartikelübertragung entsteht, wenn sich eine infizierte Person im Raum befindet. Da viele weitere Faktoren, wie die korrekte Einhaltung von Abstands- und Hygienemaßnahmen, die Infektionsdosis sowie individuelle Empfindlichkeiten, die Infektionswahrscheinlichkeit beeinflussen können, ist derzeit noch nicht abzusehen, ob eine verlässliche Abschätzung des Infektionsrisikos auf Basis solcher Modelle in Zukunft möglich sein wird.“

(https://www.umweltbundesamt.de/themen/gesundheit/umwelteinfluesse-auf-den-menschen/innenraumluft/infektioese-aerosole-in-innenraeumen#wie-kann-das-infektionsrisiko-uber-aerosolpartikel-vermindert-werden)

Ähnlich äußert sich die Gesellschaft für Aerosolforschung (GAeF) in dem mit Pressemitteilung vom 07.12.2020 veröffentlichten „Positionspapier der Gesellschaft für Aerosolforschung zum Verständnis der Rolle von Aerosolpartikeln beim SARS-CoV-2 Infektionsgeschehen“, in dem festgestellt wird:

„Für die Forschung in der Zeit nach der Pandemie müssen geeignete Modellsysteme gefunden und die Übertragbarkeit von Ergebnissen mit verschiedenen Virenstämmen erforscht werden.“

Das Niedersächsische Kultusministerium hat jeweils einen umfassenden Rahmen-Hygieneplan für die Schule und für den Kita-Bereich entwickelt, die fortwährend an die aktuellen Entwicklungen angepasst werden.

Zudem wurden den Schulen und Kindertagesstätten Leitfäden an die Hand gegeben, welche beide Bildungsbereiche bei der Organisation ihres Alltags unter Pandemiebedingungen unterstützen.

  1. In wie vielen der seit Beginn der Pandemie bis zum 14. Februar 2021 um 9 Uhr gemeldeten laborbestätigten 22 838 COVID-19-Infektionen bei 0- bis 19-Jährigen in Niedersachsen kann die Landesregierung als Ort der Infektion die Kindertagesstätte und/oder die Schule sicher ausschließen, und welche anderen Orte sind für diese Altersgruppe in welcher Anzahl sicher belegt?

Die Landesregierung kann Kindertagesstätte oder Schule als Ort der Infektion in sehr vielen gemeldeten laborbestätigten COVID-19-Infektionen bei 0- bis 19-Jährigen ausschließen, da die Schulen und Kindergärten über einen weiten Verlauf der Pandemie aufgrund von Schulferien oder Schließzeiten geschlossen waren oder kein Präsenzunterricht stattfand. Die genaue Anzahl zu ermitteln, würde umfängliche zusätzliche Recherchen bei den Gesundheitsämtern erfordern.

Die relative Altersverteilung der Meldefälle über den Zeitverlauf lässt allerdings keinen nennenswerten Effekt von Schulferien oder Phasen mit Szenario C auf den Anteil der Kinder im Schulalter an der Gesamtfallzahl erkennen. Sicher belegen lassen sich die Orte der Infektion in der Regel nicht, weder bei Infektionen in der Schule noch bei Infektionen außerhalb, da Kinder und Jugendliche auch asymptomatisch infiziert sind oder nur schwache Symptome aufweisen. Sie werden vielfach dadurch als Fälle identifiziert, dass sie im Rahmen von Umgebungsuntersuchungen positiv getestet werden.

Wenn es aber keinen erkennbaren Erkrankungsbeginn gibt, ist es äußerst schwierig, den Zeitpunkt der Infektion und damit den Ort der Infektion bzw. die Person, bei der man sich angesteckt hat, genau einzugrenzen. Auch Infektionen bei mehreren Schülerinnen bzw. Schülern einer Klasse sind kein Nachweis dazu. Diese hatten häufig auch außerhalb der Schule noch Kontakt zueinander.

Die Abgrenzung zwischen Ansteckung innerhalb oder außerhalb der Schule ist praktisch nicht möglich. (Siehe auch die in Fragen 1 erwähnte Erhebung des NLGA).“

PR

Hinweis zu der Meldung
Diese Seite zeigt gesponsorten Marketing-Inhalt, Quell- und Informationslinks sowie extern eingespielte Banner und Flash-Anzeigen.